30.11.2013: Blockseminar über Meister Eckhart u. Edmund Husserl

Inhalt/Beschreibung

Dr. Martina Roesner
Blockseminartermin am 30.11.2013, 09:00-18:00 Uhr, Stift Melk


"Das Ich ist nicht von dieser Welt. Die Denkansätze Meister Eckharts und Edmund
Husserls als Beispiele einer Ego-Praxeologie der Freiheit"


Im Zuge des postmodernen Denkens hat es sich eingebürgert, die klassische Subjektphilosophie als Ausdrucksform des typisch metaphysischen Strebens nach rationaler Letztfundierung zu deuten und somit als definitiv überwunden zu betrachten. Dabei wird übersehen, dass es innerhalb der Geschichte der abendländischen Philosophie durchaus Versuche gegeben hat, das Ich so zu thematisieren, dass es nicht zu einer statischen Hypersubstanz gerinnt, sondern in seiner Lebendigkeit, Beweglichkeit und spielerischen Freiheit gegenüber der Welt der Naturobjekte hervortritt.
Meister Eckhart und Edmund Husserl können als beispielhafte Vertreter einer Denkrichtung gelten, die nicht auf eine objektivierende Theorie über das Ich, sondern vielmehr auf einen gewandelten Vollzug der denkerischen Ichheit als solcher abzielt. Ihre wesentlich methodisch-performativen Ansätze, für die in paradigmatischer Weise die Begriffe der „Gelassenheit“ bzw. der „Epoché“ stehen, wollen das Ich dazu anleiten, seiner wesentlichen Andersartigkeit gegenüber der Dingwelt innezuwerden und so zu wahrer Selbsterkenntnis zu gelangen. Die Einsicht, dass das Ich nicht Teil der naturkausal bestimmten Wirklichkeit ist, sondern einen wesentlich anderen Seinsmodus besitzt, führt jedoch gerade nicht zu einer Abschottung von der Wirklichkeit, im Gegenteil: In dem Maße, als das Ich sich selbst als quellende Lebendigkeit und schöpferische Spontaneität begreift, kann es sich der Welt in ihrer Gesamtheit zuwenden, in sie hineinwirken und sie umgestalten, ohne fürchten zu müssen, sich dabei zu verlieren und der „Uneigentlichkeit“ anheimzufallen.
Die egologischen Denkansätze Meister Eckharts und Edmund Husserls erweisen sich damit weniger als Subjekttheorien im klassischen Sinne denn vielmehr als praktische Anleitungen zu einer existentiellen Umformung, die den Menschen dazu befähigen soll, seinem wahren Ich gemäß zu leben und sich im Lichte dieser Selbsterkenntnis der Welt zuzuwenden. Dieser Grundgedanke soll anhand ausgewählter Texte der beiden Autoren erörtert und auf seine philosophisch-theologischen Implikationen hin untersucht werden.
Bedingung für die Teilnahme ist die Bereitschaft zur gründlichen Vorbereitung der bereitgestellten Texte.

Zusammenfassung

Am 30. November 2013 fand der erste Teil eines Workshops zu Meister Eckhart und Edmund Husserl statt, in dessen Rahmen Martina Roesner, Lise Meitner Stipendiatin an der Forschungsplattform „Religion and Transformation in Contemporary European Society“, den egologischen Denkansatz Eckharts vorstellte.
Martina Roesner legte zunächst den Schwerpunkt auf Eckharts im deutschsprachigen Raum wenig thematisiertes lateinisches Werk und interpretierte Passagen aus seinen Kommentaren zu den Büchern Exodus, Jesus Sirach und dem Johannes-Evangelium, denen jeweils „Ich-Aussagen“ zugrunde liegen: „Ich bin, der ich bin“ (Ex 3,14), „Ich brachte gleich wie der Weinstock die Frucht lieblichen Duftes hervor“ (Sir 24,23) und „Ich bin nicht von dieser Welt“ (Joh 8,23). Danach standen drei der deutschen Predigten Eckharts im Mittelpunkt, welche das Verhältnis von „Ich“, Gott und Welt thematisieren: „Ego elegi vos de mundo“ (Joh 15,16; Predigt 28), „Beati pauperes spiritu“ (Mt 5,3; Predigt 52) und „Intravit Iesus in quoddam castellum“ (Lk 10,38-40; Predigt 86).
Bei Eckhart stehen einander nicht ein menschliches und ein göttliches Ich gegenüber, vielmehr ist es Gott, der im eigentlichen Sinne „Ich bin“ von sich sagen kann; das „Ich“ ist Bestimmung des Absoluten und Ausdruck von Singularität. Die menschliche Freiheit ist im Absoluten verankert, was jedoch keine Form der Heteronomie oder der Entwertung menschlichen Seins darstellt, im Gegenteil: Die menschliche Freiheit ist im strengen Sinne identisch mit der göttlichen, was der Mensch als geschaffener (und gefallener) Mensch jedoch verkennen kann und zumeist auch verkennt. Demgegenüber geht es um einen Wechsel der Perspektive zu einem Denken, das nicht wie im Bereich des geschaffenen Seins von Wirkung Zielursächlichkeit bestimmt wird und somit in der Ausdrucksweise Eckharts „ohne Warum“ ist. Die gegenüber einer naturkausal bestimmten Wirklichkeit wesentlich andere Seinsweise des Ichs zielt jedoch gerade nicht auf eine Absonderung von der Wirklichkeit: „In dem Maße, als das Ich sich selbst als quellende Lebendigkeit und schöpferische Spontaneität begreift, kann es sich der Welt in ihrer Gesamtheit zuwenden, in sie hineinwirken und sie umgestalten, ohne fürchten zu müssen, sich dabei zu verlieren und der ‘Uneigentlichkeit‘ anheimzufallen.“ (Martina Roesner)


Entsprechend den thematischen Interessen der TeilnehmerInnen kreisten die Diskussionen besonders um Eckharts Beziehungen zur antiken Philosophie (Aristoteles und Plotin sowie die arabische Aristoteles-Rezeption durch Avicenna und Averroes) und um eine motivische Nähe zum deutschen Idealismus.
In einem weiteren Studientag wird Husserls Phänomenologie des Ichs thematisiert werden, um anschließend beide egologischen Ansätze miteinander in Verbindung zu bringen und eine bisher wenig thematisierte Korrelation von Eckhart und Husserl herauszuarbeiten. Die Veranstaltung wurde gemeinsam vom Fachbereich für Theologische Grundlagenforschung (Institut für Systematische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät) sowie und der Forschungsplattform RaT organisiert und im Stift Melk abgehalten.